Gedanken zum Garten

Das Gefühl von Grün

Maigrün ist eine besondere Farbe. Es gibt noch mehr grün, ich sehe eichenfrischgelbgrün, buchenjunggrün, kastaniengrün, eibenaustriebsgrün und lärchengrün, haselrot und prunusdunkel, alchemillengrün und geraniumgrün, glänzendes bergeniengrün und farnsprühgrün, neben getupftem und gestreiftem funkien-, pulmonaria- und epimediumgrün.

Das alles fühlt sich für mich an wie drängendes Leben und Wachsen, wie manifestierte Kraft und Lebensfreude, ein überwältigendes Geschenk der Natur.

Das Frühjahr ist für mich die schönste Jahreszeit, wenn im zeitigen Frühjahr die Kastanie vorsichtig ihre ersten Blätter ausrollt, als ob sie probieren würde, ob sie es schon wagen kann. Und dann könnte man meinen, sie gibt einen Startschuß für die anderen Pflanzen. Als ob an einer Schnur gezogen würde, die den Schlaf und die nur mühsam zurückgehaltenen Kraft des Austriebs wie einen Schleier aus den Bäumen, Sträuchern und Pflanzen zurückzieht. Ein Schleier, der nicht von alleine und zeitgleich verrutscht sondern ein Schleier, der von kundiger Hand gezogen die Empfindlichkeiten jedes einzelnen Wesens berücksichtigt. Eine wissende Hand, die den Schlaf beendet, manchmal über Nacht.

Wie in diesem Jahr. Ich kann von meinem Bett aus die Kastanie, die Lärche und die Buchen und Eichen am Waldrand sehen. In diesem Jahr lag lange ein heimlicher Schimmer auf der Lärche, ein Ahnen, der Frühling könnte kommen. Dann kamen die vorsichtigen Versuche der Kastanie, die ihre dicken Knospen ein bisschen aufrollte. Und dann der Regen: am nächsten Morgen waren die Blätter der Kastanie entfaltet und über Nacht waren die Buchen grün. Vom Bett aus sah es aus, als hätten Kulissenschieber über Nacht eine neue Dekoration angebracht, plötzlich grün. Maigrün, buchenjunggrün, kastaniengrün.

Zu dem Grün kommt der Duft. Der Farbe, der Blätter, der Frische, der Blüten.